Rede zum Volkstrauertag von Uli Seitz

Uli Seitz (Stadtrat)

20. November 2017

Volkstrauertag 2017

Rede von SPD Stadtrat Ulrich Seitz, Vorsitzender des Historischen Vereins Neu-Ulm, auf der Gedenkfeier vor dem Ehrenmal im Friedhof Gerlenhofen

Volkstrauertag 2017 - jedes Jahr das Gleiche? Die äußeren Zeichen des Gedenkens, die Rituale, könnten den Gedanken nahe legen. Bewährte traditionelle Formen des Gedenkens tun aber der Erinnerung gut, weil sie den Wandel begleiten, hin zum konzentrierten Nachdenken an vergangenes Grauen und seine Ursachen.

Für meine Generation, die Nachkriegsgeneration, hier in Deutschland ist dieses Grauen schon weit weg, für viele Millionen Menschen weltweit jedoch bis heute unerbittlicher Alltag. Wir alle hier wissen, was 1914 -18, von 1933 - 1945 und danach, durch Krieg, Flucht und Vertreibung geschehen ist, was Menschenverachtung und Rassenwahn, Intoleranz und die ganze Fülle des Auslebens niederster Instinkte an Leben, an körperlicher und psychischer Gesundheit, gekostet haben. Die Zahlen sind öffentlich. Hinter diesen Zahlen aber stecken Menschen, Schicksale, stehen Menschen, wie Du und ich.

In der Hitparade perversen Grauens in der Vergangenheit nimmt unser Vaterland, Deutschland, als Verursacher historisch betrachtet, sicher einen Spitzenplatz ein. Aber das waren nicht wir, die wir heute hier stehen. Sie nicht und ich nicht! Die Täter sind tot. Die Sippenhaft ist abgeschafft. Dies Gott sei dank! Längst ist unser Staatsvolk Partner in einer Europäischen Union. Vergessen dürfen wir die nationale Schuld niemals, Nein! Selbstgeißelung bringt uns als Staatsvolk aber auch nicht weiter. Ohne das dies zur Entschuldigung dienen soll: Russland hatte Stalin, die Türken ihre Armenier, Amerika seine Indianer und so weiter, usw. Die Liste ließe sich nahezu beliebig fortsetzen und füllt sich bis in diese Tage, z.B. mit dem Schicksal der Rohingya in Myanmar. Warum zähle ich dies auf? Weil das Gedenken zum Volkstrauertag über einen nationalen Auftrag hinausreicht; die Folge daraus zur ganz persönlichen "Hausaufgabe" wird, wenn man sein Leben auch als Aufgabe begreift, mit oder ohne Glauben.

Europa und das System seiner Bündnisse garantierte uns fast 70 Jahre Frieden und man könnte fast glauben, diese Sicherheit macht übermütig. Die Europäische Union zeigt bedenkliche Auflösungserscheinungen, der "Brexit" könnte der Anfang sein. Nationale Parolen, wie Trumps "Amerika First", gefährden die internationale Solidarität. In Ungarn und Polen geht ein Riss durch die Gesellschaft, sind Demokratie und Rechtsstaat gefährdet und auch die Flüchtlingsfrage spaltet - nicht nur in Deutschland. Parallelgesellschaften verhindert man mit menschlichen, mit christlichen Mitteln, nur im Miteinander. Mit Erschrecken müssen wir erkennen, dass auch in unserem Vaterland wieder eine Sprache hoffähig wird, die wir längst auf der Müllkippe der Geschichte gewähnt haben. Mit der Sprache verrohen die Sitten und wenn die Sitten verrohen, dann wird all dieses wieder möglich, was in die Katastrophe führt.

Durchbrechen wir mit unserer persönlichen Haltung und Lebensführung den Kreislauf des Bösen, mit unseren vielen kleinen persönlichen Schritten im Alltag, mit der Verteidigung von individueller Freiheit und Rechtsstaatlichkeit, durch die Achtung vor der Persönlichkeit des Anderen und getreu unserer Verfassung, dem Grundgesetz, das postuliert:" Die Würde des Menschen ist unantastbar".

Dann sind die Opfer, derer wir heute gedenken, nicht verhöhnt. Dann haben wir verstanden. Ehren wir unsere Toten, durch unsere Haltung im Leben.

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